Auch der Lebensmittelhandel soll die Mehrwertsteuersenkung umsetzen. Doch mit welchen Folgen? (Foto: Imago)

Bürokratiemonster oder echte Konjunkturhilfe?

Wie drei Bioland-Betriebe die Mehrwertsteuersenkung umsetzen

27.07.2020

Mit "Wums" aus der Krise - so hat sich Finanzminister Olaf Scholz den Effekt der Absenkung der Mehrwertsteuer vorgestellt. Auf sechs Monate befristet, soll sie den privaten Konsum ankurbeln. Doch sie steht auch in der Kritik - gerade beim Lebensmittelkauf fallen lediglich Centbeträge für den Kunden und ein enormer Aufwand für den Verkäufer an. Drei Bioland-Betriebe wählen transparent andere Wege - und stoßen bei ihren Kunden auf Zustimmung.

Von Bioland

Starke Bildung auf dem Gut Paulinenwäldchen

"Was für ein Irrsinn!", war Bernhard Ruhls erster Gedanke, als er von der Mehrwertsteuersenkung hörte. Die Bundesregierung hatte im Rahmen des Corona-Paketes beschlossen, die Mehrwertsteuer von 19 auf 16 bzw. von 7 auf 5 Prozent zu senken - für ein halbes Jahr. Für Ruhl, Mitgesellschafter des Guts Paulinenwäldchen in Aachen und für die Buchhaltung zuständig, kaum umzusetzen. Denn für den Betrieb, der neben Gemüsebau und Fleischerzeugung auf die Direktvermarktung setzt, hätte das laut Ruhl einen enormen Aufwand bedeutet: Vorab geschriebene Rechnungen neu aufsetzen, Hofladen neu auspreisen, jeden einzelnen Artikel in der Abrechnungs-Software umstellen. Der Profit für den Kunden bei einem Warenkorb von 100 Euro knapp 2 Euro. Arbeitskosten für den Betrieb - unvorstellbar. "Deshalb wollten wir einen anderen Weg gehen", erzählt Ruhl, der das Gut Paulinenwäldchen vor 21 Jahren mit der Familie Gauchel aufgebaut hat.

Wissen zum Ökolandbau vermitteln zahlreiche Bildungsangebote auf dem Gut Paulinenwäldchen (Foto: Marta Fröhlich)

 

Der Betrieb genießt in der Region Bekanntheit, Betriebsleiter Volker Gauchel setzt sich mit dem Projekt "Blütenparadies" dafür ein, dass Landwirte,  darunter auch konventionelle Kollegen, Felder als Blühflächen ansäen, um die Artenvielfalt zu fördern. Das Säen und Pflegen verursacht jedoch Kosten, die sie bisher über Kleinspenden aus der Region teils ausgeglichen bekommen haben - "so wird mit wenig Geld für den Einzelnen eine große Wirkung im Ganzen erzielt", sagt Ruhl. Durch die Corona-Krise brachen diese Spenden weg, deshalb wollen Ruhl und Gauchel nun das "Blütenparadies" mithilfe der Mehrwertsteuersenkung am Leben erhalten. Statt die Preise um 2 oder 3 Prozent für den Kunden zu senken, zahlt dieser den alten Preis, und die Differenz fließt unter anderem ins Projekt. Auf die gleiche Art soll die Bildungsarbeit am Hof unterstützt werden. Seit Jahrzehnten bringt Familie Gauchel Erwachsenen wie Kindern in Führungen, Kinderfreizeiten oder Ferienspielen die Ökolandwirtschaft näher. Hier können Gäste selbst pflanzen, ernten, beobachten, ausprobieren. Dieser Betriebszweig ist auch ohne Krise schwer kostendeckend zu halten, durch die Pandemie blieben jedoch in den starken Monaten April/Mai/Juni die Tore zu. Langsam trudeln zwar wieder Buchungen ein, doch das Loch aus dem Frühjahr könnten die Einnahmen aus der Mehrwertsteuersenkung stopfen.

 

Zu guter Letzt sollen auch die Mitarbeiter für ihren Einsatz in der Krise belohnt werden. Gerade Direktvermarkter wie das Gut Paulinenwäldchen hatten aufgrund der enormen Nachfrage im Hofladen und nach der Biokiste alle Hände voll zu tun. "Deshalb haben wir bereits eine einmalige Prämie ausgezahlt, eine zweite errechnet sich mit dem kommenden halben Jahr", gibt Ruhl einen Ausblick.
Dass die Kunden vermeintlich leer ausgehen, habe bisher niemanden gestört - im Gegenteil, weiß Ruhl:  "Wir haben unser Vorgehen klar im Hofladen und auf der Webseite kommuniziert. Und ganz ehrlich: So viel positive Resonanz wie auf diese Aktion hatten wir noch nie!" Kein Kunde wollte das Geld ausbezahlt bekommen.

Ein Naturschutz-Biotop für den Biohof Meiwes

Ähnliche Reaktionen nimmt auch Katja Schraer wahr. Sie leitet das Team Direktvermarktung auf dem Biohof Meiwes in Detmold und hat sich wie das Gut Paulinenwäldchen dazu entschlossen, die Differenz aus der Mehrwertsteuersenkung zu spenden. "Wir hatten durch die Pandemie von heute auf morgen doppelt so viel zu tun, der Hofladen war voll, die Biokiste war richtig gefragt, wir waren kräftemäßig am Ende", erinnert sich Schraer. Und da kam die Mehrwertsteuerumstellung auch noch obendrauf. "Unsere Frage war: wie kann man aus dieser sechsmonatigen Aktion etwas wirklich Nachhaltiges für Detmold und die Umwelt entwickeln?", sagt sie. Zur Kundschaft des Biohofs gehören auch viele Menschen, die selbst in der Kulturszene arbeiten, durch den teils noch immer anhaltenden Lockdown in wirtschaftliche Not gekommen sind und in der Krise bereits auf dem Hof ausgeholfen haben. Deshalb war nach einigen internen Diskussionen klar: Ein Drittel der Einnahmen soll in die Dettmolder Kulturarbeit fließen. Betriebsleiter Martin Meiwes knüpfte schnell Kontakt mit dem Kulturamt, das direkt zugesichert hat, die Gelder in die Arbeit mit Kindern und Erwachsenen fließen zu lassen.

Auf dem Gelände des Biohofs Meiwes möchte Betriebsleiter Martin Meiwes gemeinsam mit Bioland ein Naturschutz-Biotop anlegen (Foto: Meiwes)

 

Ein weiteres Drittel soll in einen lang gehegten Traum von Martin Meiwes gehen: ein Naturschutz-Biotop direkt auf dem Gelände. Inspiriert von einem Expertenvortrag, in dem die Dramatik des Artensterbens das Team vom Hof Meiwes sehr berührt hat, soll nun gemeinsam mit Bioland-Naturschutzberaterin Veronica Heiringhoff-Campos ein Konzept entwickelt werden, das Artenvielfalt schützt und fördert. Erste Gespräche fanden bereits statt, erste Ideen wurden gesammelt, nun kann es an die Umsetzung gehen.
Der Biohof kommuniziert sein Vorgehen transparent auf der Website und in den sozialen Netzwerken. Das kommt offensichtlich gut an.

 

"Viele berichten uns, dass ihnen auch auffällt, dass es weniger Schmetterlinge in ihren Gärten gibt, dass sie selbst erleben, wie die Insekten weniger werden", erzählt Schraer, viele positive Rückmeldungen von Kunden stehen nur einer einzigen kritischen Äußerung gegenüber. Eine gute Bilanz, die das Team in seinem Kurs bestätigt.

Denningers Mühlenbäckerei: Sommerbonus für Mitarbeiter

Im Gegensatz zu Ruhl und Schaer stand Klaus Denninger der Idee, die Mehrwertsteuer für eine bestimmte Zeit zu senken, positiv gegenüber. "Einkaufen muss ja jeder, für unseren Betrieb sehe ich den Aufwand der Umstellung auch eher überschaubar", erklärt der Bäcker, der in Frankfurt seine Mühlenbäckerei mit Laden sowie eine kleine zweite Verkaufsstelle bereits in vierter Generation betreibt. Doch auch er hat nicht den Standardweg gewählt und die Senkung eins zu eins an die Kunden weitergegeben. "Das war auch nicht die Vorgabe dieser Maßnahme. Deshalb haben wir uns entschlossen, sie als steuerfreie Coronaprämie an unsere Mitarbeiter auszuzahlen." Denninger sieht sich und seinen Betrieb eher als Profiteur der Krise. Seine Mühlenbäckerei verzeichnete trotz Umsatzeinbrüchen in der Kitaversorgung deutlich positive Zuwächse.

Maskenpflicht auch hinter der Theke von Denningers Mühlenbäckerei

 

Von Anfang an kamen mehr Kunden an seine Theken, die 27 Mitarbeiter mussten kräftig die Ärmel hochkrempeln, um dem Andrang gerecht zu werden, denn in den Produkten steckt jede Menge Handarbeit, die Auslastung des Teams ist auch schon ohne Krise hoch. Zusätzlich kamen Belastungen wie ständiger Mundschutz bei der Arbeit und erhöhte Vorsicht auch im privaten Bereich, um das Team nicht zu infizieren und so den kleinen Familienbetrieb zu gefährden. Deshalb stellte sich für Denninger schnell die Frage: "Wie kann ich diesen Einsatz neben einem verbalen Dankeschön würdigen? Wir haben den Vorteil, dass wir mit unseren Zahlen aus den Ladenumsätzen recht gut überschlagen können, auf welchen Betrag wir in einem halben Jahr kommen. Daraus konnten wir die Größenordnung der Mehrwertsteuersenkung bereits jetzt gut abgrenzen."

 

Heraus kam ein Betrag, den wir auf 9200 Euro Ausschüttungsprämie aufgestockt haben und der zu Beginn der Umstellung anteilsmäßig an die Mitarbeiter ausgeschüttet wurde - ein kleiner Sommerbonus, denn "Anerkennung wirkt, wenn man sie zeitnah zeigt", ist Denninger überzeugt.  

Mit einem Aushang erklärt er seinen Kunden, warum diese keine Preissenkung  auf dem Kassenzettel haben. Die wenigsten Kunden hätten beim Bäcker die Auszahlung erwartet, ist sein Eindruck. Trotzdem will er zeigen, dass sein Betrieb sich das Geld nicht in die eigene Tasche steckt, sondern dass es bei den Menschen ankommt, die mit ihrem Einsatz helfen, so gut durch die Krise zu kommen. Und dafür eigne sich das Vorgehen der Bundesregierung sehr gut: "Beide Instrumente, Steuersenkung und steuerfreie Coronaprämie, können wir super nutzen, um den Einsatz unserer Mitarbeiter zu honorieren."

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