Die Vielfalt der Arten von Pflanzen und Tieren ist gefährdet (Foto: Sonja Herpich)

"Volksbegehren gibt dem Ökolandbau Schub"

BUND-Chef im Interview

30.04.2019

Für Hubert Weiger ist das Bienen-Volksbegehren in Bayern ein großer Schritt für den Artenschutz, das auch auf andere Bundesländer abstrahlen wird. Trotzdem sei die Artenvielfalt weiterhin massiv gefährdet, warnt der Vorsitzende des BUND.

Von Dominik Baur

Herr Weiger, waren Sie überrascht, wie das Volksbegehren für Artenvielfalt in Bayern eingeschlagen hat?
Hubert Weiger: Dass es ein gar so überwältigender Erfolg werden würde, das hat uns schon überrascht. Schließlich waren es ja widrigste Umstände. Mitten im Winter ist es sehr schwierig, die Leute zu mobilisieren, ins Rathaus zu gehen. Aber der Erfolg macht deutlich: Die Menschen wollen nicht länger, dass zwar ständig über die Bedeutung des Umweltschutzes geredet wird, das politische Handeln aber eigentlich immer auf Kosten des Umweltschutzes geht.

Die Grünen haben das schon als „Meilenstein für den Artenschutz“ bezeichnet. Ist das zu viel der Euphorie?
Hubert Weiger: Ein großer Schritt für den Artenschutz ist es auf alle Fälle. Aber die Artenvielfalt ist trotzdem nach wie vor massiv gefährdet. Gerade in Bayern haben wir ja permanente Eingriffe in Natur und Landschaft, etwa durch den Neubau von Straßen. Auch die Intensivierungsprozesse in Teilen der Landwirtschaft müssen gestoppt werden, wir müssen von der industriellen Tierhaltung wegkommen. Und selbst wenn das bayerische Ziel von 30 Prozent Ökolandbau im Jahr 2030 erreicht wird, haben wir dann ja immer noch 70 Prozent Betriebe, die eben nicht ökologisch wirtschaften.

Zur Person

Foto: Weiger






Hubert Weiger, 72, gelernter Forstwirt, ist Gründungsmitglied des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und seit 2007 dessen Vorsitzender. Von 2002 bis 2018 war der Allgäuer zudem Vorsitzender des BUND Naturschutz in Bayern. 2017 erhielt er den Deutschen Umweltpreis.


Das Volksbegehren hat ja ganz offensichtlich einen Nerv getroffen. Woran liegt es, dass das Thema die Gesellschaft so mobilisiert?
Hubert Weiger: Das hängt damit zusammen, dass der Artenverlust, der früher mehr etwas Abstraktes war, für die Menschen inzwischen greifbar ist: Wann habe ich die letzten Glühwürmchen gesehen? Wann habe ich die letzte Feldlerche singen hören? Wo sind die Schmetterlinge geblieben? Jeder kann den Artenschwund vor der eigenen Haustür feststellen. Sehr gefreut habe ich mich, dass es bei diesem Volksbegehren keinen Gegensatz zwischen Stadt und Land gegeben hat. Das war kein Votum der Städter gegen die ländliche Bevölkerung. Denn gerade die Menschen auf dem Land sehen diese Entwicklung ja ganz unmittelbar.

Sind die Bayern da besonders sensibel?
Hubert Weiger: In Bayern gibt es seit Jahrzehnten eine sehr starke Naturschutzbewegung. Unser bayerischer Landesverband, der BUND Naturschutz, hat heute beispielsweise mehr Mitglieder als die CSU. Das war vor zwanzig Jahren noch umgekehrt. Wir haben auch deutlich mehr Mitglieder als der Bauernverband. Und für die Bayern ist die Schönheit ihrer Landschaft etwas ganz Zentrales.

Denken Sie, dass dieser bayerische Impuls jetzt auch bundesweit ausstrahlt?
Hubert Weiger: Mit Sicherheit. Das kann man jetzt schon beobachten. In Brandenburg und Nordrhein-Westfalen werden zum Beispiel auch Volksbegehren vorbereitet – obwohl die leider keinen gesetzgebenden Charakter haben wie in Bayern. Und im Bereich des ökologischen Landbaus wird das in ganz Deutschland einen großen Schub nach vorne geben, wenn Bayern da jetzt vorangeht.

Wie ist denn derzeit die Situation in den anderen Bundesländern?
Hubert Weiger: Was die blühenden Uferrandstreifen angeht, war Bayern tatsächlich Schlusslicht. Die sind sonst schon überall vorgeschrieben. Bei den übrigen Punkten müssen die anderen Länder jetzt aufholen - zum Beispiel beim Biotopverbund oder dem Ausbau des Ökolandbaus.

In Sachen Landwirtschaft kann ja vieles gar nicht auf Länder- oder Bundesebene beschlossen werden.
Hubert Weiger: Das stimmt. Deshalb muss jetzt vor allem die europäische Agrarpolitik so geändert werden, dass die Fördergelder aus Brüssel in Zukunft qualifizierter für ökologische oder soziale Leistungen eingesetzt werden können. Dann können wir die Bauern endlich angemessen für gesellschaftlich gewünschte Leistungen honorieren. Die Weidetierhaltung etwa hat ganz wichtige Vorteile für den Naturschutz, für den Tourismus, für das Landschaftsbild; aber sie liefert dem Bauer halt nun mal weniger Erträge, als wenn er die Tiere im Stall hält und sie mit billigem Importfutter ernährt.

Wissenschaftlich neu waren die Erkenntnisse zum Artenschwund ja nicht. Heißt das, Forschungsergebnisse zählen letztendlich in der Politik gar nichts – solange nicht von anderer Seite aus akuter Druck aufgebaut wird?
Hubert Weiger: Das kann man so sagen. Erst die Sensibilisierung der Öffentlichkeit, die dann in dem Volksbegehren einen starken Ausdruck gefunden hat, war die Voraussetzung dafür, dass die Politik gehandelt hat. Zuvor hat man den Konflikt mit denjenigen gescheut, die an der bisherigen Agrarpolitik verdient haben.

Bild: Imago

Direkte Demokratie in Bayern

So beeindruckend der Erfolg dieses Volksbegehrens ist, ist es keine Seltenheit, dass der Souverän in Bayern selbst die Gesetzgebung in die Hand nimmt. So gab es seit Ende der sechziger Jahre 21 Volksbegehren im Freistaat, von denen immerhin fünf erfolgreich ausgingen. Der Senat, eine zweite Parlamentskammer in Bayern, wurde auf diese Weise abgeschafft, ebenso wie die Studiengebühren. Gerade die ÖDP hat sich hier als sehr erfolgreich hervorgetan. Sowohl die Abschaffung des Senats als auch der Nichtraucherschutz geht auf sie zurück. Auch auf kommunaler Ebene wird die direkte Demokratie über den Bürgerentscheid intensiv gelebt. Dieser wurde 1995 eingeführt – per Volksentscheid gegen den Willen der CSU.

Ist direkte Demokratie also die letzte Hoffnung für den Umweltschutz?
Hubert Weiger: Zumindest hoffen wir, dass wir auf diese Weise den Mehrheitswillen in der Bevölkerung auch politisch durchsetzen können, wo wir sonst keine Chance hätten. In Bayern haben wir eine große Erfahrung mit der Volksgesetzgebung. Bayern hätte ohne sie nicht den hohen Standard im Umweltschutz. Über kommunale Bürgerbegehren in Bayern haben wir zum Beispiel unsere dezentrale Trinkwasserversorgung gerettet. Und selbst wenn Volksbegehren scheitern, können sie Entscheidendes bewirken. Das Abfallvolksbegehren Anfang der Neunziger hat zwar im Volksentscheid nicht die Mehrheit bekommen, aber die Staatsregierung so weit vor sich her getrieben, dass sie ein eigenes Konzept zur Mülltrennung vorgelegt hat. Dadurch wurden dann 16 geplante Müllverbrennungsanlagen überflüssig.

Direkte Demokratie wäre also auch auf Bundesebene eine gute Sache?
Hubert Weiger: Ich finde schon. Zum Beispiel könnte die Frage, ob Gentechnik bei uns zugelassen werden soll, eine Frage eines bundesweiten Volksbegehrens sein.

Das Interview führte Dominik Baur

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