Es braucht viele Handgriffe und Erfahrung, um eine gute Wurst herzustellen (Fotos: Marta Fröhlich)

Der Fleisch-Veredler

Metzger Martin über die Schulter geschaut

20.08.2019

Metzger Martin eröffnete die erste Biometzgerei in der Region Kassel. Und stellt seitdem Wurst und Fleischerzeugnisse von besonderem Wert her. Auch weil ihm nicht egal ist, wie das Tier vorher gelebt hat.

Von Bioland

Der Kaffee läuft noch durch, da krempelt Metzgermeister Oli schon die Ärmel hoch. Der Händedruck ist kräftig, das Tempo zackig. Während das Dörfchen Ehlen-Habichtswald im Landkreis Kassel erst langsam wach wird, schmeißt Oli schon den Fleischwolf an.
45 Kilo Rinderhack, würzige Kräuter der Provence, Muskat und Kümmel drehen im großen Kessel bereits ihre Runden und wollen zu Pfefferbeißern verarbeitet werden, als Chef Martin auf den Hof fährt. "Moin", ruft Martin knapp vom Laster, "kann direkt losgehen!" Ein Sprung, ein Schritt, schon steht er neben der Ladefläche und wuchtet die erste Kiste voll Fleisch in die Metzgerei.

"Am Anfang hielten sie mich alle für verrückt"

Seit der 37-Jährige, den sie alle hier nur Metzger Martin nennen, die kleine Dorfmetzgerei "mmh bio" aufgemacht hat, hat er immer gut zu tun. "Am Anfang hielten sie mich alle für verrückt. Da kommt so ein durchgeknallter Öko, haben die gedacht", erinnert sich Martin.
Doch die Landwirte in der Großregion Kassel haben heute wie damals Not, einen guten Biometzger zu finden. Sie suchen jemanden, der ihren Tieren, die sie mit viel Hingabe großgezogen haben, einen besonderen Wert beimisst, sie mit Achtung und Respekt verarbeitet. Martin wollte schon früh genau das.
Eher durch Zufall geriet er mit 15 an einen Metzger, der ihm eine Lehre anbot - und blieb dran. Doch schnell war für ihn klar: "Ich möchte, dass es dem Tier vor seinem Tod gut ging, dass es Gutes zu fressen hatte und ein glückliches Leben. Da war die Bio-Metzgerei nur konsequent", erklärt er. Und hat viele Verbündete gefunden. Zu seinen Kunden zählen nicht nur Restaurants wie das Bioland-zertifizierte Weissenstein in Kassel und Hunderte Besucher seines Marktstands in Göttingen. Martin übernimmt auch die sogenannte Lohnverarbeitung, ihm können Landwirte aus der Region ihre Tiere bringen und bekommen Fleisch und Wurst für ihre Hofläden zurück.

 

Möglichst viel vom Tier zu verwenden, ist in Martins Biometzgerei selbstverständlich (Fotos: Marta Fröhlich)

 

 

Günther hat 50 Jahre als Metzger gearbeitet und hilft heute gern in der Biometzgerei aus

 

 

Die richtige Balance von fettem und magerem Fleisch macht die perfekte Mischung für Ahle Wurst aus

 

 

Aus Respekt vor dem Produkt achtet Metzger Martin darauf, kein Gramm Fleisch zu verschwenden

 

 

Aus drei Schweinen können bis zu 600 Ahle Würste und andere Produkte hergestellt werden

 

 

Bis zu zehn Wochen Zeit hat die fertige Wurst, um Wasser zu verlieren und zu reifen

 

Heute liegen auf dem Laster drei grob zerlegte Schweine, die am Abend vorher von einem Biohof in der Nähe verkauft wurden. Martin hat sie früh um fünf am Bio-Schlachthof 25 Kilometer weiter abgeholt. Die Tiere hatten doppelt so viel Zeit zum Wachsen wie ihre konventionellen Artgenossen. Nach strengen Biorichtlinien wurden sie in der Nacht geschlachtet und müssen auch von einem Biometzger verarbeitet werden, um als Biofleisch verkauft werden zu dürfen.

Nun ist Eile geboten. Aus dem Fleisch der jeweils etwa 160 Kilo schweren Tiere soll eine Spezialität entstehen: Ahle Wurst, luftgetrocknet, würzig, ein besonderes Produkt, auch in der Herstellung. Denn Ahle Wurst, auch Stracke genannt, wird traditionell aus Warmfleisch gemacht. Sechs Stunden hat der Metzger ab dem Zeitpunkt der Schlachtung Zeit, dann wird das körpereigene Phosphat im Fleisch bereits zersetzt. Jedoch hilft das Phosphat, Wasser und Fett in der Wurst zu verbinden, und macht sie so geschmeidig. In der konventionellen Fleischverarbeitung würde nun künstlich Phosphat hinzugefügt, doch das ist in Martins Biometzgerei verboten. Deshalb ist nun Handwerk gefragt.

"Ich möchte, dass es dem Tier vor seinem Tod gut ging, dass es Gutes zu fressen hatte und ein glückliches Leben."

Mit beiden Armen wuchtet er ein mehrere Kilo schweres Fleischstück auf die Theke. Dampf steigt auf, ein Geruch von frischem Fleisch und Tier liegt in der Luft. Zing, zing, zing, ein paar Mal zieht Martin das Messer über den Wetzstab, schlüpft in den metallenen Metzgerhandschuh und setzt den ersten Schnitt, löst ein Stück Schulterblatt heraus, stemmt dieses mit seinem eigenen Körpergewicht über die Tischkante aus dem Fleisch. Mit gezielten Schnitten werden Sehnen, Knorpel und Haut entfernt, das Fleisch in faustgroße Brocken zerlegt und nach mager bis fett sortiert. Alles geht rasend schnell. Jede Minute, jeder Schnitt zählt.

An seiner Seite kümmert sich Günther um die Feinarbeit. Der 70-Jährige müsste eigentlich nicht mehr um sechs Uhr morgens in der Metzgerei stehen. 40 Jahre lang hat er die Hausschlachtungen in den umliegenden Dörfern übernommen. 1964 ging es los, 2004 dann die Rente. "Mein Arzt hat mir geraten, weiterzuarbeiten, so bleibe ich in Bewegung", sagt Günther und schmunzelt. "Und hier macht mir die Arbeit Spaß und hält mich fit. Warmfleischverarbeitung zum Beispiel ist eine besondere Herausforderung. Man muss schnell sein. Und das Fleisch ist noch sehr weich und hat wenig Griff. Aber man schmeckt den Unterschied."

Ratzfatz kratzt er noch die letzten Quäntchen Fleisch vom Knochen, schließlich soll nichts verloren gehen. Der Respekt vor dem Produkt gebietet das. Selbst die fettesten Teile wie zum Beispiel die Schwarte werden aufgehoben. "Wir schauen nach dem Wolfen noch mal, ob die Wurst zu trocken ist, dann können wir das noch gut verwenden", erklärt Martin, während er mit Oli die ersten Kisten Fleisch in die Maschine kippt. Was dann noch übrig bleibt, wird zu Brät verarbeitet, daraus entstehen dann Wiener, Fleischkäse und andere Brühwurst.

Kiste um Kiste wandern Fleischstücke in den Wolf, werden zu einer noch groben, aber homogenen Masse zermahlen. "So, dann schauen wir mal", Martin langt in die Masse, ertastet den Fettgehalt. "Da brauchste sicher noch was Fett, oder? Das Fleisch ist recht mager", ruft Günther ihm zu und schneidet einen Bauchlappen in Stücke, die noch unter die Masse gemengt werden. Kurz nach zehn, Punktlandung. "Eigentlich könnten wir noch schneller sein. Bei Warmfleisch darf man keine Zeit verlieren", sagt Martin und blickt skeptisch auf die Uhr. Passt gerade noch. Durchatmen.

Zum Wurstmachen gehört viel Erfahrung

Oli hat unterdessen schon mal die Gewürzmischung nach traditionellem Rezept vorbereitet. Mit seinen Händen mengt er die Zutaten in der Plastikwanne durch, fügt noch etwas Salz hinzu, ein kräftiger Duft von Kümmel wabert durch den Raum. Kaum schiebt einer der Jungs einen hohen Wagen baumelnder Pfefferbeißer aus der Tür, muss die Wurstmaschine wieder ran. Rasch stellt Oli das richtige Programm ein: "Ich kann hier genau anwählen, was ich machen möchte. Dann portioniert die Maschine das von allein. Früher hat man das noch mit so nem Fleischwolf mit Kurbel gemacht. Kennste sicher, ne? Heute haben wir's leichter", sagt er lachend und zieht den ersten Kunststoffdarm über die Fülltülle. Mit einem Kniehebel gibt er der Maschine ein Signal, und die Masse quillt gleichmäßig in die Form. Noch mit einer Metallklammer versiegeln und mit Paketschnur versehen, fertig!

Wurst um Wurst füllt sich der Tisch. Sorgfältig auf Holzstäbe aufgefädelt und in einen Wagen aufgehängt, folgen sie den Pfefferbeißern vom frühen Morgen in die sogenannte Vorreife. Fünf bis zehn Tage trocknen sie in einem dunklen Raum vor sich hin, dann dürfen sie weitere acht Wochen in der Vollreife in einem kalten Keller weiter Wasser verlieren und ihr Aroma entfalten. Luftgetrocknete Wurst ist in der Herstellung eine Mimose, die richtige Luftfeuchtigkeit und Temperatur müssen es schon sein, dunkel auch und nicht zugig. Und vor allem braucht es dafür einen Rohstoff, der besonders teuer ist: Zeit. Martin geht durch die vollen Reihen seines Reifekellers, vorbei an Chorizo und Blutwürsten vom letzten Monat. "Die müssen noch ein paar Wochen hängen", stellt er mit einem Daumendruck fest. Seine Wurst ist nicht billig. Doch den Preis zahlen die Kunden gern.

Gute Rohstoffe, Bioverarbeitung, traditionelles Handwerk, es braucht Dutzende Handgriffe bis zum Endprodukt - Martins Kunden wissen das zu schätzen, das Geschäft läuft gut. 14 Mann beschäftigt er mittlerweile, verarbeitet dreimal die Woche Frischfleisch. "Doch mir fehlt das Personal", klagt er. Keiner wolle mehr Metzger werden - unbequeme Arbeitszeiten, körperlich anstrengend, das will heute kein Jugendlicher mehr lernen. Dabei ist für Metzger Martin sein Beruf einer der schönsten. "Man hat was in der Hand, das man selbst geschaffen hat. Und so, wie ich meinen Job mache, gebe ich dem Produkt den Wert, den das Tier darin verdient hat."