Für Bier gilt ein strenges Reinheitsgebot - doch nicht überall (Fotos: Imago)

Jedem sein Bier

Wie bierernst meint es das Reinheitsgebot?

02.07.2015

Einst gab man Tollkirschen ins Bier. Es sollte schließlich berauschen. Um das zu verhindern, beschlossen die Regierenden schon im Mittelalter Bierverordnungen. Deren Nachfolger, das Reinheitsgebot, verbietet selbst Holunderblüten. Blausäure als Vorratsschutzmittel jedoch erlaubt es.

Von Magdalena Fröhlich

Das erste Drogenschutzgesetz hat etwas mit dem Bier zu tun. Das Reinheitsgebot wurde nämlich unter anderem deswegen erfunden, weil man das mit der Gärung noch nicht so recht heraus hatte: Manchmal gärte das Bier gut, manchmal schlecht. Weil bei der Gärung aber die Stärke des Getreides in Alkohol umgewandelt wird und man schon immer wollte, dass das Bier berauscht, hat man eben allerlei andere Sachen ins Bier getan, damit es mit dem Rausch auch klappt. "Zum Teil sogar hochhalluzinogene Pflanzen: Stechapfel und Tollkirsche, zum Beispiel", sagt Markus Metzger, Braumeister und Berufsschullehrer im bayerischen Karlstadt. Da sich aber die Oberen um das Wohl ihrer Bürger sorgten, wollten sie, dass die Leute aus ihrem Suff auch wieder aufwachen. Und haben deshalb Bier-Ordnungen erlassen. Und zwar schon bevor, es das bayerische Reinheitsgebot von 1516, das nur Hopfen, Malz und Wasser erlaubt, gab. Das war in Thüringen nicht anders als im bayerischen Regensburg.

Schon die Ägypter brauten Bier - damals noch in reiner Handarbeit

 

Bier trank man schon immer gern. Schon jedem Babylonier sollen zwei bis fünf Liter Bier täglich zugestanden haben - je nachdem, ob man Arbeiter oder Oberpriester war. Neueste Funde belegen sogar, dass sogar schon vor 5.000 Jahren im heutigen Tel Aviv von den Ägyptern Bier gebraut wurde. Sie haben es mit einem Fruchtsaftkonzentrat gemischt. Das müsste man dann aber heute Bier-Mischgetränk nennen.
Weil vor 5.000 Jahren das Bier noch vollkommen unfiltriert war, hat man es mit einem Strohhalm getrunken. So blieben die Reste, etwa Teile der Getreidekörner, am Boden des Krugs.

 

Wer heute etwas Bier nennt, das aus mehr als aus Hopfen, Malz, Hefe und Wasser besteht, würde dagegen ein Problem bekommen. Denn weitere Zutaten, etwa Früchte und Gewürze, sind in den Gesetzen rund ums Bier nicht vorgesehen: weder im Reinheitsgebot noch im vorläufigen Biergesetz von 1993 und dessen Durchführungsverordnung, die auf dem Reinheitsgebot fußt. Im Biergesetz heißt es, wer "besondere Biere", also welche mit weiteren Zutaten, brauen möchte, braucht dazu eine Ausnahmegenehmigung. Für die Zulassung von Ausnahmen sind die Behörden im jeweiligen Bundesland zuständig.

Eine solche Genehmigung hat jüngst die Brauerei Köstritzer mit Sitz in Thüringen für ihr Witbier bekommen. Das ist ein Weizenbier nach belgischem Vorbild, bei dem dem Brausud auch Koriander und Orangenschalen beigefügt werden. Auch die "Leipziger Gose", ein Bier, in dem Salz enthalten ist, darf seit jeher verkauft werden. Warum? "Da kann man sich auf Tradition berufen. Und außerdem ist das außerhalb Bayerns", sagt Markus Metzger.

In Bayern ist es am strengsten

Denn im Unterschied zum deutschen Reinheitsgebot, ist das bayerische noch strenger: Zum einen erlaubt es für obergärige Biere keinen Rohr-, Rüben oder Invertzucker. Laut deutschem Reinheitsgebot, dürfte der im Malz enthalten sein. Und zum anderen gilt das Gebot auch noch dann, wenn man das Bier zwar in Bayern braut, aber gar nicht in Bayern trinkt. Selbst wenn man das Bier exportieren möchte, muss man sich dran halten.

Das macht deutlich: Den Bayern ist es mit dem Bier auch bierernst. Eine Mitteilung des Bayerischen Brauerbundes vom vergangenen Jahr macht das klar. "Wäre jedes x-beliebige Gebräu außerhalb Bayerns im Prinzip als 'besonderes Bier' genehmigungsfähig, könnte man von einem 'Deutschen ReinheitsGEBOT' wohl kaum mehr sprechen."
Weiterhin schreibt der Verein, die Lebensmittelüberwachungsbehörden der Länder aufgefordert zu haben, sich auf einen gemeinsamen Nenner zu verständigen: mit dem Ziel, man möge sich doch darauf beschränken, nur solche Ausnahmen zu erlauben, bei denen eine Brautradition vor 1906 nachgewiesen werden könne. Das heißt: Die Leipziger Gose ist ok, neue Braukreationen sind es nicht.

Hopfen, Wasser, Malz: Mehr kommt laut Reinheitsgebot nicht in die Flasche

 

So erhielt ein bayerischer Craft-Bier-Brauer Besuch von der Lebensmittelbehörde und einen anschließenden Bescheid, sich nicht ans Reinheitsgebot gehalten zu haben. Dabei nennt der Brauer seine Getränke noch nicht einmal Bier, sondern "Nicht-Bier". Er schreibt sogar aufs Etikett, dass er nicht nach dem Reinheitsgebot braut. Trotzdem bestehe laut Behörde Verwechslungsgefahr. Auch das Wort "Verbrauchertäuschung" sei gefallen, so der Craft-Bier-Brauer. Er möchte seinen Namen nicht nennen, solange er seine Produktion nicht einstellen muss. "Die Getränke sind halt in Flaschen wie bei gängigen Bieren und auf Werbematerialien ist auch ein Krug - das könne man dann schnell mit nach Reinheitsgebot gebrauten Bier verwechseln", sagt er. "Beim Bier darf's in Bayern nichts Neues geben, sonst ist man verdächtig." Das Reinheitsgebot sei wohl das elfte Gebot in Bayern - und das scheint unantastbar.

 

Tatsächlich schreibt das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit auf Anfrage: "Die Brauer, die Zutaten wie zum Beispiel Orangenschalen und Ingwer verwenden, dürfen nur Getränke in den Verkehr bringen, die sowohl hinsichtlich der Kennzeichnung als auch der stofflichen Beschaffenheit nicht verwechselbar sind mit Bier."

Reinheitsgebot gar nicht so rein

Metzger, der außerdem erster Vorsitzender des Vereins der Haus- und Hobbybrauer in Deutschland ist, meint zudem: "Da geht es nur um die Reinheit des Reinheitsgebotes und um Werbemaßnahmen. Aber genau das ist Verbrauchertäuschung." Denn tatsächlich sind bei der Bierherstellung noch viel mehr Stoffe erlaubt, als lediglich Hopfen, Malz, Hefe und Wasser: Diese reichen von Asbest zur Filtrierung über Blausäure als Vorratsschutzmittel bis hin zu Polyvinylpolypyrrolidon, einem Kunststoff, von dem Verbraucherschützer abraten, diesen häufig zu verzehren. Auch dieses wird zur Filtration eingesetzt. Die Vorgaben der Biobrauer erlauben all das nicht. Zur Filtration verwenden sie beispielsweise Baumwolle, chemisch-synthetische Pestizide sind ebenfalls verboten.

So rein ist das Reinheitsgebot also nicht. Im vorläufigen Biergesetz, das darauf fußt, heißt es, dass man Stoffe verwenden darf, die "bis auf gesundheitlich, geruchlich und geschmacklich unbedenkliche, technisch unvermeidbare Anteile wieder ausgeschieden werden".
"Gerade deshalb ist es absolut lächerlich, so beharrlich am Reinheitsgebot festzuhalten. Das schränkt nur unsere Brauer ein, die sich beim Bier für mehr Vielfalt und Geschmack einsetzen wollen", so Metzger. "Oder wie soll man einem Verbraucher erklären, warum Formaldehyd oder eine radioaktive Bestrahlung zur Desinfektion erlaubt sind, Holunderblüten aus Biolandwirtschaft aber nicht?", schüttelt der unterfränkische Braumeister den Kopf. Er selbst hat einmal - nach uraltem fränkischen Rezept - ein Bier mit Eichenblättern statt Hopfen gebraut und auf einem Fest ausgeschenkt. "Der Antrag ging bis ins Ministerium, ob ich das darf", so Metzger. "Als ob das gesundheitsgefährdend sei. Nach Lebensmittelrecht ist es völlig in Ordnung." Einem Koch würde man ja auch nicht verbieten, sein Gericht anders zu würzen. Ein Schweinebraten bliebe ja auch noch dann ein solcher, egal ob man Lorbeerblätter beigibt oder nicht. "Das Reinheitsgebot führt nur zu noch mehr Einheitsgeschmack und hindert kleine Brauereien daran, sich zu etablieren."

Konzentration auf dem globalen Biermarkt

Nicht nur beim Geschmack geht es um Einheitlichkeit, auch der Biermarkt konzentriert sich zunehmend: Gerade einmal fünf Braukonzerne teilen sich rund die Hälfte des globalen Weltmarktes: Weil sie immer mehr Biermarken aufkaufen.
Weltweit brauen übrigens nicht alle Konzerne nach Deutschem Reinheitsgebot - und haben dadurch auch eine größere Biervielfalt: Von Holunder- über Chillibier. Auf rund 15.000 verschiedene Biermarken und mehrere hundert Sorten beziehen sich einige Schätzungen.

Biermarkt in Zahlen

China ist in der Bierproduktion die Nummer eins

  • Weltweit wurden vergangenes Jahr etwa 2 Milliarden Hektoliter Bier produziert.
  • Als größte Braunation gilt das bevölkerungsreiche China mit einem jährlichen Bierausstoß von über 380 Millionen Hektoliter.
  • In Europa trinken die Tschechen am meisten Bier: 192 Liter waren es 2018 pro Kopf. Die Deutschen tranken im Schnitt 101 Liter.
  • Im Jahr 2020 wurden in Deutschland rund 89,03 Millionen Hektoliter Bier erzeugt. Die Anzahl der Bier-Brauereien in Deutschland stieg in den vergangenen Jahren nahezu kontinuierlich an. Lediglich im Corona-Jahr 2020 ging die Anzahl leicht zurück auf 1528.
  • Die Deutschen trinken am liebsten Pils. Knapp 10 Millionen Deutsche tranken 2020 mehrmals pro Woche ein kühles Blondes.
  • Weltbiermarktführer ist der belgische Braukonzern Anheuser-Busch InBev (unter anderem Beck's, Hasseröder, Löwenbräu, Diebels, Franziskaner Weissbier), gefolgt Heineken. Dazu gehören nicht nur das gleichnamige Bier, sondern beispielsweise auch Desperados, Sol, Amstel.
  • Bio-Bier kommt in der Weltmarktliste nicht vor. Globale Statistiken gibt es dazu nicht. In Deutschland gehen Schätzungen davon aus, dass der Anteil unter einem Prozent liegt. Marktführer ist dabei das Oberpfälzer Brauhaus Neumarkter Lammsbräu, das 2019 seinen Umsatz um knapp 6 Prozent steigern konnte.


 


Der Biermarkt war übrigens schon seit Langem in ständiger Veränderung, weiß Kevin Rick, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Uni Marburg:

  • So hat die Industriealisierung im 19. Jahrhundert zwei Gesichter: Während der Bierkonsum stieg, gab es immer weniger Brauereien. Viele Betriebe konnten sich keine neuen Maschinen leisten. Diese waren aber zur "modernen", ganzjährig qualitätvollen Produktion von untergärigen Bieren, wie Pils, nötig. Denn das kam damals in Mode. Das untergärige Brauen funktioniert nur bei kalten Temperaturen - also mit Kühltechnik oder Natureis, das vielfach aus Skandinavien via Dampfzug nach Deutschland gebracht wurde. Hinzu kamen steigende Kosten für Rohstoffe - für viele Brauereien bedeutete das das Aus.
  • Anfang des 20. Jahrhunderts stiegen die Preise für Lebensmittel merklich. Die Bevölkerung war verunsichert: Die Gewerkschaften riefen zum Beispiel in Frankfurt Vollversammlungen ein und auf diesen zum Bier-Boykott auf. Man politisierte das Bier, um generell gegen Preiserhöhungen und zu hohe Steuern zu demonstrieren.
  • Der Erste Weltkrieg beschleunigte das Brauereisterben. Viele Brauer wurden als Soldaten eingezogen. Lastwagen und Pferde brauchte das Militär. Die Wirtschaftskrise der 1920er und den Zweiten Weltkrieg überlebten nur wenige Betriebe.

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