Wir sind inzwischen mehr als 7,5 Milliarden Menschen - und werden ständig mehr (Foto: imago)

Kann bio die Welt ernähren?

Wie sich Landwirtschaft und Konsum verändern müssen

08.11.2017

Die Frage, ob der ökologische oder der konventionelle Anbau "besser" ist, wird oft engagiert oder sogar verbittert geführt. Dabei ist schon die Fragestellung heikel.

Von Martin Rasper

Geht es um den reinen Ertrag pro Fläche, geht es um den wirtschaftlichen Ertrag oder werden weitreichendere Effekte wie der Einfluss auf die Biodiversität oder auf das gesellschaftliche Wohlergehen mit einberechnet?
Das Standardargument für den konventionellen Anbau lautet in der Regel, dass nur der konventionelle Anbau eine wachsende Menschheit ernähren könne. Unbestreitbar hat die Einführung des Kunstdüngers in den allermeisten Fällen den Ertrag enorm gesteigert. So polemisierte der US-Landwirtschaftsminister Earl Butz in den siebziger Jahren gegen Kritiker der agrochemischen Landwirtschaft: "Bevor wir in diesem Land den organischen Landbau wieder einführen, muss bitte jemand entscheiden, welche 50 Millionen Amerikaner wir verhungern lassen wollen." Dabei ist Hunger heute keine Frage der Anbaumethode, sondern ein politisches und soziales Problem.

Schwer vergleichbar

Es gibt zahlreiche Untersuchungen, die die Leistungsfähigkeit des konventionellen Anbaus, vor allem den Einsatz von Kunstdünger, mit der des ökologischen Anbaus vergleichen. Meist kommen sie zu dem Ergebnis, der konventionelle Anbau bringe mehr Ertrag auf dem Feld, und zwar in einer Größenordnung von rund 20 Prozent. Allerdings ist schon die Bandbreite dieser Ergebnisse riesig, es schwankt zwischen "dreimal so effektiv" für den Anbau mit Chemieunterstützung und "annähernd gleichwertig"; das Ergebnis hängt stark von den Ausgangsbedingungen ab. Und nimmt man statt des reinen Ertrags den Gewinn, also berücksichtigt den erzielten Marktpreis, dann verschieben sich die Gewichte noch mal, schneidet der Biolandbau oft sehr viel besser ab, weil seine Produkte in der Regel höhere Preise erzielen. Und noch ein Aspekt wird oft übersehen: Ökologischer Landbau erhält die Fruchtbarkeit des Bodens, eine der wichtigsten natürlichen Ressourcen überhaupt, und trägt überdies zum Erhalt der Biodiversität bei.

Allerdings sind die beiden Systeme so wenig vergleichbar, dass es das eine, absolut aussagekräftige Ergebnis nicht gibt. Es reicht ja nicht, einfach zwei Felder zu nehmen, auf das eine Kunstdünger zu streuen und auf das andere nicht, und dann das Ergebnis zu vergleichen. Nur ein Beispiel: Bei vielen Studien werden aus rein praktischen Gründen einzelne Felder miteinander verglichen. Dies wird von anderen Studien wiederum kritisiert, weil es heißt, einzelne Felder begünstigten im Ergebnis die arbeitsintensivere Wirtschaftsweise des Biolandbaus, und man müsse gesamte Betriebe vergleichen. Das wiederum ist kaum möglich, da sich jeder Betrieb vom anderen unterscheidet, nicht nur hinsichtlich der Anbauweise.

Letztlich ist aber die Frage - welches System ist effektiver, und welches wollen wir deshalb verwenden - falsch gestellt. Die Frage muss lauten, was für eine Welt wir wollen. Wollen wir eine Welt, die über weite Landstriche keine nennenswerte Tier- und Pflanzenwelt mehr aufweist und keine dörflichen Siedlungsstrukturen? Oder wollen wir eine Welt, in der die Biodiversität und die sozialen Strukturen auf dem Land wenigstens zum beträchtlichen Teil erhalten bleiben und in der die Menschen selbstbestimmt über ihre Versorgung mit Lebensmitteln entscheiden können?

Zu welchen Ergebnissen kommt der Weltagrarbericht?

Der Weltagrarbericht ("International Assessment of Agricultural Knowledge, Science and Technology for Development") ist eine Bestandsaufnahme der globalen Landwirtschafts- und Ernährungssysteme. Sein Ziel ist es, Strategien zur Überwindung von Hunger und Armut aufzuzeigen und zu klären, auf welche Weise die Weltbevölkerung nachhaltig ernährt werden kann. Initiiert wurde er 2002 von der Weltbank.

Der Bericht erschien 2008 unter dem Titel "Agriculture at a Crossroads" (Landwirtschaft am Scheideweg). Er stellt fest, dass die derzeitige Lage geprägt ist durch ungleiche Entwicklung, durch das Fortbestehen von Armut und Hunger und durch einen nicht nachhaltigen Gebrauch der natürlichen Ressourcen. Entscheidend zur Bekämpfung des Welthungers sei nicht eine weitere Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität, sondern die bessere Verfügbarkeit der Lebensmittel vor Ort. Nur wenn die Erzeugung, Verarbeitung und Verteilung landwirtschaftlicher Produkte weitgehend dezentral und kleinräumig organisiert seien, unter Verwendung agrarökologischer und kleinbäuerlicher Methoden, sei auf Dauer eine nachhaltige und gerechte Versorgung der Menschheit zu erreichen.

Was muss sich an der globalen Ernährungsweise ändern?

Um es vorwegzunehmen: Mit das größte Übel ist der hohe Fleischkonsum in den Industrieländern. Ein wesentlicher Teil der globalen Landwirtschaft besteht heute aus agroindustriellen Monokulturen, etwa gentechnisch verändertem Soja als Tierfutter für die Massentierhaltung. Diese Produktionsweise verbraucht enorm viele Ressourcen. Eine Kalorie aus Fleischnahrung erfordert zur ihrer Produktion zwei bis sieben Kalorien Pflanzennahrung für die Futtermittel. Dazu kommt der entsprechend höhere Wasserverbrauch.

Dabei sind zwei Drittel der weltweiten Landwirtschaftsfläche nur als Gras-und Weideland nutzbar, da sind Rinder, Schafe und Ziegen sinnvoll. Doch viele Nutztiere werden heute mit Getreide gefüttert, das vorwiegend in den Entwicklungs- und Schwellenländern produziert wird. Salopp gesagt, fressen diese Nutztiere den Ärmsten der Armen die Nahrung weg. Nach einer Studie des UN-Umweltprogramms Unep könnten allein die Kalorien, die zur Umwandlung von pflanzliche in tierische Ressourcen aufgewandt werden, 3,5 Milliarden Menschen ernähren.