Spezielles Kinderessen brauchen Kinder nicht, sagen Experten (Foto: imago)

"Alles schmeckt, was man mit Erinnerungen verknüpft"

Interview mit Ernährungspsychologin Katja Kröller

29.12.2018

Junge Eltern sind oft ratlos, wenn ihr Kind kein Gemüse oder Obst essen will. Schließlich will man den Nachwuchs ja ausgewogen ernähren. Ernährungspsychologin Katja Kröller rät im Interview zu Entspannung am Esstisch. Und zu Hartnäckigkeit - aber im guten Sinne.

Von Julia Schreiner

Sind unsere Vorlieben beim Essen angeboren?
Katja Kröller: Vieles ist einfach nur Gewöhnung. Wir mögen in der Regel die Lebensmittel am liebsten, mit denen wir am häufigsten konfrontiert werden.

Wenn ich einem Kind ein Gemüse oft genug vor die Nase stelle, dann mag es das irgendwann?
Kröller: Ja, das klappt übrigens auch noch bei Erwachsenen. Wenn wir Ihnen jeden Tag Rote Bete vorsetzen, mögen Sie sie irgendwann. Es dauert nur länger als bei Kindern. Zum Essen zwingen sollte man die Kinder aber nicht. Ein paar Abneigungen darf man ruhig haben.

Wenn fast alles Gewohnheit ist, gibt es dann überhaupt von Natur aus heikle Kinder?
Kröller: Die gibt es schon. Das scheint etwas mit der Persönlichkeit zu tun zu haben. Ängstlichere Kinder trauen sich weniger an neue Lebensmittel heran. Es gibt aber auch die weit verbreitete Neophobie bei Kleinkindern um das zweite Lebensjahr herum. Also eine ausgeprägte Angst vor unbekannten Lebensmitteln. In der Steinzeit schützte die Neophobie Kleinkinder davor, giftige Beeren oder Pilze zu essen.

Zur Person

Katja Kröller ist Professorin für Ernährungspsychologie an der Hochschule Anhalt in Bernburg. Sie machte zunächst eine Ausbildung zur Diätassistentin und arbeitete als selbstständige Ernährungsberaterin. Vor ihrer Berufung an die Hochschule Anhalt war sie im Bereich Gesundheitspsychologie an den Hochschulen in Potsdam und Gera tätig. Mit dem Thema Fettleibigkeit bei Kindern hat sie sich intensiv auseinandergesetzt.

Ist das die Phase, in der manche Kinder nur noch Nudeln oder Pommes essen wollen?
Kröller:
Genau. In der Regel legt sich das aber wieder von alleine. Eltern sollten nicht zu sehr darauf eingehen. Nur noch Nudeln zu kochen ist keine gute Idee. Man sollte trotzdem weiterhin Vielfalt anbieten.

Und wie macht man das dann?
Kröller: Man muss nicht extra viel kochen. Zwei Gemüsesorten zur Wahl anzubieten reicht. Und wenn man die Soße zum Essen separat serviert, kann das Kind selbst entscheiden. Das entspannt die Lage am Familientisch ungemein. Ein Kind kommt auch mal mit trockenen Nudeln aus. Kinder benutzen Essen auch, um Selbstbewusstsein zu üben. Beim Essen können sie erste Entscheidungen selbst treffen.

Wie kommt es, dass Kinder immer das essen wollen, was am schädlichsten für sie ist?
Kröller: Wir haben eine angeborene Vorliebe für Süßes. Bei Pizza und Co. handelt es sich um Gerichte, die es eher seltener gibt und die daher etwas Besonderes darstellen. Man darf auch nicht vergessen, dass jedes Verbot die Lust steigert. Das soll nicht heißen, dass man den Kindern regelmäßig Fastfood anbieten sollte. Der Suchtfaktor ist zu hoch.

Worauf kommt es an?
Kröller: Bieten Sie dem Kind viele verschiedene Geschmackserlebnisse. Es sollte die einzelnen Gemüsesorten herausschmecken können. Man sollte also nicht immer alles zu einem Einheitsbrei pürieren.

Mehr Mut zu Experimenten

Es geht also vor allem um Geschmacksbildung. Wann ist der beste Zeitpunkt dafür?
Kröller: Ab dem vierten Lebensmonat sollte man mit der Beikost beginnen, um das Zeitfenster für die Prägung nicht zu verpassen. Manche geben dem Baby erst mal wochenlang nur Karotte. Das ist zu eintönig. Man darf ruhig mehr experimentieren.

Beeinflusst nicht auch die Ernährung in der Schwangerschaft die Vorlieben des Kindes?
Kröller: So ist es. Untersuchungen haben gezeigt, dass Babys zum Beispiel Karottenbrei lieber essen, wenn die Mutter in der Schwangerschaft viel Karottensaft getrunken hat. Was das Baby im Fruchtwasser alles schmecken kann, weiß man aber nicht genau.

Mal abgesehen von der Versorgung mit Nährstoffen: Warum ist es so wichtig, dass Kinder abwechslungsreich essen?
Kröller: Weil das große Auswirkungen auf unser ganzes Leben hat. Wenn ein Kind viele Gemüse- und Obstsorten oder auch Fisch bis zur Einschulung kennengelernt hat, wird es ziemlich sicher auch später vielfältiger essen.

Essen hat ja auch ganz viel mit positiven Erinnerungen zu tun.
Kröller: Wir leben in einer Kultur, in der eher mit ungesunden Lebensmitteln positive Erinnerungen verknüpft werden. Aber grundsätzlich schmeckt alles gut, was man mit guten Erinnerungen verknüpft. Auf keinen Fall sollte gesundes Essen zum Kampf werden. Wenn das Kind so lange vor dem ungeliebten Broccoli sitzen muss, bis es ihn gegessen hat, wird es später sicher nie wieder Broccoli essen.

Also mit den Kindern lustige Gemüsemännchen schnippeln oder sie mitkochen lassen?
Kröller: Zum Beispiel. So kann man positive Gefühle erzeugen, natürlich nicht so stark wie bei Schokolade oder Eis, weil Gemüse ja etwas Alltägliches sein sollte.

Nicht mit Süßigkeiten belohnen

Überzeugt es Kinder, wenn man ihnen sagt, dass etwas gesund ist?
Kröller: Davon rate ich inzwischen ab. Gesund wird verstärkt mit unlecker in Verbindung gebracht. Gesundheit ist ein Argument, für das Kindern der Weitblick fehlt.

Manche Eltern setzen Süßes als Belohnung ein. Eine gute Idee?
Kröller: Ein Pudding als Belohnung fürs Broccoli-Essen zum Beispiel signalisiert dem Kind, dass Broccoli wirklich etwas Schreckliches sein muss, wenn es dafür eine Belohnung gibt. Damit macht man Broccoli nicht beliebt. Kinder sollte man generell nicht mit Essen belohnen oder trösten, sonst werden sie später zu Stress- oder Frustessern, weil sie gelernt haben, negative Emotionen mit Essen zu bekämpfen.

Ein mächtiger Gegenspieler von Eltern ist die Lebensmittelindustrie, die die Kinder mit bunten Verpackungen lockt. Lasse ich mein Kind beim Einkaufen besser zu Hause?
Kröller: Das verschiebt das Problem nur. Es wird ja älter und geht dann alleine einkaufen. Gegen die Werbung kommt man leider kaum an.

Wie kommt man trotzdem mit Kind halbwegs gut durch den Supermarkt?
Kröller: Ein guter Trick ist, die Kinder beim Einkaufen zu beschäftigen. Ich habe meine Kinder recht früh dazu bekommen, dass sie sich an der Käsetheke selbst etwas aussuchen. Das war so ein Highlight, dass die Süßigkeiten und Cornflakes gar nicht mehr so wichtig waren. Am besten macht man mit dem Kind vorher aus, was in den Kinder-Einkaufswagen rein darf. Zum Beispiel kann man ihm erlauben, einen Joghurt selbst auszusuchen. Man kann auch zusammen eine kleine Einkaufsliste malen.

Und wenn das Kind die zuckrigsten Cornflakes will?
Kröller: Dann würde ich ihm klar machen, dass das kein richtiges Frühstück ist. Das kann man kaufen, aber es zählt dann eben als Süßigkeit. Älteren Kindern kann man auch ruhig erklären, dass die Lebensmittelhersteller oder die Fastfoodketten die Kinder mit attraktiven Verpackungen oder Geschenken ködern wollen, die es zum Essen dazugibt. Damit sie mehr essen und wiederkommen.

Könnte eine Lebensmittelampel beim Einkaufen helfen? Kinder mögen ja Regeln.
Kröller: Kleine Kinder finden das spielerisch schön und regeln auch gerne. Aber sie werden dann doch schwach. Das Essverhalten ist noch zu sehr emotional gesteuert. Über eine Ampel könnte man aber gut erklären, was besser und was schlechter für den Körper ist. Und Genuss lernen. Dass man nicht so viele Lebensmittel mit rotem Ampelzeichen einpackt, sie dafür aber dann bewusst genießt.

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