Was wirklich in Produkten steckt, zeigt erst der Blick ins Kleingedruckte (Foto: Sonja Herpich)

"Klarheit schafft nur der Blick in die Zutatenliste"

Interview mit Verbraucherexpertin Wiebke Franz

04.04.2019

Ohne Aromen, ohne Geschmacksverstärker, frei von Konservierungsstoffen - immer mehr Hersteller werben mit solchen Begriffen. Doch was steckt dahinter? Wir haben bei Wiebke Franz von der Verbraucherzentrale Hessen nachgefragt.

Von Marta Fröhlich

Wer in den Supermarkt geht, sieht überall auf den Produkten Hinweise wie „Frei von“ oder „Ohne“. Welche sind die gängigsten?
Wiebke Franz: Da gibt es ganz viele verschiedene. Häufig taucht die Werbung bezogen auf Inhaltsstoffe wie Gluten oder Laktose auf. Aber auch "ohne Zuckerzusatz", "ohne künstliche Aromastoffe", "ohne künstliche Farbstoffe" oder auch "frei von künstlichen Geschmacksverstärkern" sind sehr geläufig. Alle diese Auslobungen gibt es noch mal in der Variante ohne "künstlich", also "ohne Aromen" oder "ohne Geschmacksverstärker".

Gluten ist ein aktuell vieldiskutiertes Thema. So werden auch immer mehr Produkte als "glutenfrei" beworben. Ist das nötig?
Franz: Wir finden es auf jeden Fall für Menschen mit einer Zöliakie sinnvoll. Bei diesen Menschen können Reaktionen schon allein dadurch ausgelöst werden, dass glutenfreies Brot im selben Regal liegt, in dem vorher glutenhaltiges Brot gelegen hat. Allein der glutenhaltige Staub reicht aus. Deshalb gibt es für die Werbung mit „glutenfrei“ ganz klare gesetzliche Regelungen. Wenn auf der Verpackung glutenfrei steht, muss der Hersteller garantieren, dass das Produkt nicht mehr als 20 mg/kg Gluten enthält.

Zur Person

Foto: Franz







Ernährungswissenschaftlerin Wiebke Franz ist bei der Verbraucherzentrale Hessen als Referentin für Marktbeobachtung und Öffentlichkeitsarbeit der Fachgruppe Lebensmittel und Ernährung tätig. Zudem ist sie Mitglied der Redaktion des Internetportals Lebensmittelklarheit.de und bearbeitet dort schwerpunktmäßig die Produktmeldungen von Verbrauchern.


Wie sieht es beim Thema Laktose aus?
Franz: Es gibt einerseits Produkte, die durch ein bestimmtes Verfahren in ihrem Laktosegehalt reduziert wurden. Dazu gehören zum Beispiel Milch, Quark, Joghurt, Frischkäse oder Dickmilch und Kefir. Andererseits gibt es aber auch Käse wie Bergkäse und Gouda, die allein durch den Reifungsprozess laktosefrei sind.

Wieso werden solche Käsesorten dann aber eigens als laktosefrei deklariert?
Franz: Mit der Werbung „laktosefrei“ spricht der Hersteller dem Käse eine spezielle Eigenschaft zu, von der er sich einen Vorteil verspricht. Nötig wäre es nicht. Jedoch gab es kürzlich dazu eine Gerichtsentscheidung, die diese Werbung bei einem Gouda für zulässig erklärt hat. Demnach ist dem Verbraucher mit Laktoseunverträglichkeit nicht immer klar, welche Käsesorten er essen darf. Da seien solche Auslobungen hilfreich. Wir finden, es wäre klarer für den Verbraucher, wenn man draufschreibt: "durch Reifung laktosefrei". So weist man darauf hin, dass es auch zum Beispiel für andere Gouda gilt, die nicht explizit als laktosefrei ausgezeichnet sind. Das hätte für den Verbraucher einen Lerneffekt und wäre hilfreich. Außerdem fällt dadurch der Wettbewerbsvorteil weg, den der Hersteller sich mit der Werbung verschaffen will.

Haben Sie noch andere Beispiele für „ohne …-Werbung“ im rechtlichen Graubereich?
Franz: Es gibt recht viel Werbung, wo bisher klare Regelungen fehlen. Ein gutes Beispiel sind die Geschmacksverstärker. Auf der einen Seite gibt es die Zusatzstoffe, also isolierte Substanzen – für den Verbraucher oft als E-Nummer erkennbar. Dazu gehört zum Beispiel Glutamat. Wenn auf einer Packung "ohne künstliche Geschmacksverstärker" steht, erwarte ich, dass dort so etwas wie Glutamat nicht drin ist. Häufig verwenden die Hersteller in der Rezeptur dann jedoch Hefeextrakt, und dieser enthält von Natur aus Glutamat. Er wird mit der Absicht der Geschmacksverstärkung hinzugefügt, gilt jedoch als herkömmliche Zutat und ist somit in diesem Fall erlaubt. Hersteller sollten, wenn sie geschmacksverstärkende Zutaten reintun, nicht mit dem Gegenteil werben. Anderes Beispiel: Wenn in Himbeerjoghurt Rote Bete enthalten ist, dann nicht, weil sie geschmacksgebend ist, sondern sie soll den Joghurt rot färben. Trotzdem dürfen die Hersteller "ohne Farbstoffe" draufschreiben, weil Rote Bete eine natürliche Zutat ist. Gefärbt ist der Joghurt trotzdem.

Tricksen die Hersteller in solchen Fällen?
Franz: Natürlich. Ein anderer Fall sind die künstlichen Aromen. Natürliches Erdbeeraroma beispielsweise muss zu 95 Prozent aus der namensgebenden Quelle stammen. Natürliche Aromen hingegen können auch mithilfe von Schimmelpilzen aus Zellstoffen oder sogar tierischen Erzeugnissen stammen. Vanillejoghurt ohne künstliche Aromen enthält also nicht automatisch echte Vanille. Klarheit schafft nur der Blick in die Zutatenliste. Manchmal ist es auch grenzwertig. Kartoffelsalat schmeckt zum Beispiel ohne Essig nicht. Essig dient aber auch als Konservierungsstoff. Ist es dann richtig, "ohne Konservierungsstoffe" auf die Packung zu schreiben? Ob der Verbraucher getäuscht wird, muss man immer im Einzelfall betrachten.

Wie lässt sich dieses Wirrwarr in den Griff bekommen?

Franz: Die Politik muss gesetzliche Regelungen initiieren, die die Hersteller befolgen müssen. Obwohl die Industrie sehr erfinderisch ist. "Ohne Zuckerzusatz" ist dafür ein gutes Beispiel: Wenn das draufsteht, dürfen laut Gesetz keine Mono- und Disaccharide sowie Lebensmittel, die wegen ihrer süßenden Wirkung enthalten sind, drin sein. Dazu gehören Ahornsirup, Reissirup und, und, und. In einer Dose mit Pfirsichen, auf der "ohne Zuckerzusatz" steht, kann die Flüssigkeit zusätzlich Fruchtsüße enthalten. Auch wenn der Hersteller keinen gewöhnlichen Haushaltszucker verwendet: Wenn er das Wasser zusätzlich süßt, dann ist das nicht in Ordnung. Um es jedoch klar zu sagen: Wir sind froh, wenn Auszeichnungen der Hersteller Sachverhalte für den Verbraucher klarer machen. Wenn die Hersteller die Auslobungen eindeutig zur Werbung verwenden, dann wird es problematisch.

Das Interview führte Marta Fröhlich