Kommt ursprünglich aus China: die chinesische Wollhandkrabbe (Fotos: imago)

Invasive Arten: Niemand hat die Chance, eine Mauer zu errichten

05.04.2018

Zuwanderung begrenzen? Oder Neuankömmlingen eine Chance geben in einer sich ohnehin unaufhaltsam verändernden Welt? Das sind nicht nur politische und moralische Fragen, sondern auch ökologische. Und ökonomische.

Von Richard Friebe

Wenn man in der Nähe von Berlin nach etwas sucht, das so richtig nach unberührter Wildnis aussieht, kann man zum Beispiel bei Wolfgang Schröder vorbeischauen. Nur das Wehr, das den unter Naturschutz stehenden Gülper See von der Havel trennt, erinnert daran, dass man sich immer noch in einer Kulturlandschaft befindet. Und das Gehöft, wo der Fischer Schröder und seine Frau wohnen.

Zwischen einheimischen und ivasiven Arten

„Lass uns reingehen“, sagt der Zweimetermann nach kräftigem Händedruck. Drinnen geht es vorbei an ein paar großen Kästen aus Holz und Drahtgeflecht – Waschbärfallen – und den drei Wassertanks, von denen einer für die Wollhandkrabben reserviert ist. Draußen vor der Tür gibt es Plötzen und Hechte, Rehe und Füchse, Weißdorn und Eichen, dazu einen Gürtel aus Schilfrohr – alles Vertreter der guten alten, mindestens seit Ende der vorletzten Eiszeit hier heimischen Ökologie. Aber auch Marienkäfer, die aus Asien eingeschleppt worden sind, Gras- und Silberkarpfen, Wollhandkrabben und Knöteriche mit ähnlicher Herkunft. Dazu kommen Einwanderer aus Amerika wie Goldrute und Amerikanischer Flusskrebs.

Klimawandel kommt fremden Arten entgegen

„Selbst der ganz normale Karpfen“, sagt Schröder, „ist ja kein einheimischer Fisch, und bis vor 20 Jahren hat der sich hier praktisch nicht vermehren können, weil es zu kalt war.“ Das ist inzwischen anders. Es wurde insgesamt wärmer, die Winter bleiben oft Sparversionen ihrer selbst. Wärme liebender Flora und Fauna erleichtert dies das Überleben. Und einige Arten vermehren sich sogar massiv. Was sich unkontrolliert ausbreitet und die Ökologie, wie sie bis dahin war, durcheinanderbringt, bekommt das Attribut „invasiv“. Die EU hat den invasiven Arten 2015 den Kampf angesagt. Es gibt nun eine Liste derer, die eingedämmt, wenn möglich sogar ausgerottet werden sollen. Und Geld dafür. Der Waschbär, aus Amerika eingeführt, steht auch darauf. Wenn Schröder einer in die Falle geht, muss der Fischer den Jäger anrufen. Der erschießt ihn dann. Das darf er, denn der Waschbär unterliegt schon seit vielen Jahren dem Jagdrecht.

Waschbär
Niedlich, aber hochinvasiv: der Waschbär

 

Der Waschbär ist außerdem ein gutes Beispiel für die zunehmende Polarisierung in den Diskussionen. Die einen sehen ihn als wahre Pest – weil er Vogelnester aus-, Obstgärten leer- und Mülltonnen umräumt. Die anderen argumentieren, dass er – vor knapp 100 Jahren als Pelztier eingeführt und bald ausgebüxt – längst zur heimischen Tierwelt gehört und dass ihn zu dezimieren, extrem aufwendig und erfahrungsgemäß nicht nachhaltig ist. Bei anderen Invasoren sieht es ähnlich aus. Das wichtigste ökologische Gegenargument ist aber ein anderes: Invasiv und schädlich gebärden sie sich vor allem dann, wenn das ökologische Gleichgewicht vorher schon durch den Menschen schwer gestört war.

 

Zum Beispiel auf Industriebrachen, so Ingolf Kühn vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Halle. Kanadische und Riesengoldrute sind dort häufig und in großer Dichte zu finden. Und wo Gülle oder Kunstdünger zu hohem Nährstoffangebot führen, setzen sich laut Josef Reichholf, emeritierter Ökologie-Professor in München, ebenfalls oft Neuankömmlinge wie Riesenknöterich und Drüsiges Springkraut durch.

Vor tausenden Jahren eingeschleppt

Blätter Robinie Baum
Die Robinie ersetzt zunehmend heimische Hölzer

 

Eingeschleppte Arten haben auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands schon mindestens seit der Antike die Ökologie verändert. Den Giersch etwa sollen die Römer mitgebracht haben. Er ist allerdings – und das gilt für manch andere Spezies ebenso – kein reiner Schädling, sondern steckt voller Vitamine und sekundärer Pflanzenstoffe. In der Forstwirtschaft ist die Situation ähnlich schizophren. Robinien beispielsweise verdrängen einheimische und gefährdete Arten. Aber sie können auch sinnvoller Ersatz für unter Druck geratene Gehölze wie Eichen, Ulmen und Kiefern sein.
Wolfgang Schröders liebste Invasoren sind die Wollhandkrabben. Sie lassen sich um ein Vielfaches besser vermarkten als Ureinwohner wie Plötze, Barsch oder Brassen. Denn die Krebse gelten als Delikatesse. „Ich könnte von denen viel mehr verkaufen“, sagt Schröder. Doch die Tiere sind unregelmäßige Gäste. In einem Jahr treten sie reichlich auf, im nächsten findet man vielleicht kaum eines.
Unsicherheit ist nicht gut fürs Geschäft. Und wenn invasive Arten eines bedeuten, dann Unsicherheit: Wie beeinflussen sie die Ökosysteme? Kann man bei jenen, die wirtschaftlich nutzbar sind, auch darauf zählen, dass sie verlässlich verfügbar bleiben? Welche Art wird sich als nächstes etablieren und was wird das bedeuten? Globaler Handel, globaler Klimawandel und die nicht weniger werdenden menschlichen Eingriffe in Ökosysteme jedenfalls werden mit ziemlicher Sicherheit auf absehbare Zeit dafür sorgen, dass Bioinvasionen eher mehr als weniger werden. Und ein Mauerbau gegen invasive Arten ist unmöglich.

 

Globalisierungsopfer sind unvermeindlich

An die Stelle rigoroser Bekämpfung wird in vielen Fällen, so meint der Helmholtz-Forscher Kühn, eine Art Management dieses Wandels treten müssen: möglichst intelligent – und auf jeden Fall pragmatisch. Das könne bedeuten, dass man Ressourcen vor allem dafür einsetzt, die „Arten aus sensiblen Bereichen, also etwa Schutzgebieten, rauszuhalten oder zu entfernen“. Globalisierungsopfer werden aber unvermeidlich sein. Manche Arten sind längst verdrängt worden. Der Edelkrebs etwa ist inzwischen in der Wildnis hierzulande fast ausgestorben, dahingerafft durch eine Krankheit, die der eingeschleppte Amerikanische Flusskrebs mitbrachte. Wer einheimisches Krebsfleisch aus dem freien Süßwasser essen will, muss heute auf Wollhandkrabben zurückgreifen. Das Wort „einheimisch“ kommt dabei zwar schwer über die Lippen. Dem Gaumen – das hat der Autor dieses Textes an einem Schröderschen Fang selbst ausprobiert – fällt die Umstellung aber nicht ganz so schwer.

Richard Friebe ist Evolutionsbiologe und Wissenschaftsautor. 2016 hat er das Buch "Hormesis" zu den positiven Effekten von Gift und Stress veröffentlicht. Dieser Artikel erschien zuerst in dem Magazin "MehrWERT". 

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