Einige Unternehmen wie hier in Chicago starten bereits Versuche des Vertical Farming in größerem Stil (Foto: Imago)

Vertical Farming ja, aber als Ergänzung

Interview mit Expertin Heike Mempel

06.04.2020

Kommt unser Gemüse in Zukunft aus der Vertical Farm oder weiterhin vom Feld? Sowohl als auch, denkt Heike Mempel. Die Professorin für Gewächshaustechnik an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf sieht die Sache recht gelassen.

Von Désirée Thorn

Riesige Gewächs-Hochhäuser - das klingt nach Science-Fiction. Müssen wir uns trotzdem darauf einstellen, dass sie bald Realität werden?
Heike Mempel: Ich glaube, dass wir ein Miteinander von der ganz klassischen Landwirtschaft oder dem Gartenbau, den Gewächshäusern und dem Vertical Farming bekommen. Es gibt Bereiche, in denen Vertical Farming gegenüber den anderen Methoden Vorteile hat, und dann gibt's wieder andere Bereiche, wo die klassische Landwirtschaft die bessere Wahl ist. Vertical Farming ist somit Teil der zukünftigen pflanzenbaulichen Produktion.

Wie weit ist Vertical Farming bisher in Deutschland verbreitet?
Mempel: Deutschland ist da sicherlich nicht am weitesten vorn. Es gibt ein paar Start-ups, die sich mit Vertical Farming beschäftigen. Das ist natürlich ganz hip, aber es sind trotzdem eher Nischenprodukte. Am ehesten wird Vertical Farming zurzeit bei der Jungpflanzenproduktion eingesetzt.

Foto: Heike Mempel

Zur Person

Heike Mempel ist Professorin an der Fakultät für Gartenbau und Lebensmitteltechnologie der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf. Dort ist sie Expertin in den Bereichen Gewächshaustechnik, Qualitätserhaltung in der Nachernte und Heizungstechnik. Für die Forschungsprojekte im Bereich Vertical Farming arbeitet die Hochschule seit 2018 auch mit einem Growtainer, einem mobilen Gewächshaus in einem Container. Darin sollen unabhängig von Umgebung und Klima optimale Produktionsbedingungen für vertikale Pflanzsysteme geschaffen werden.


Wo liegen die Stärken von Vertical Farming?
Mempel: Einer der größten Vorteile ist, dass wir mit viel weniger Wasser auskommen. Wir haben es bewiesen: Wir können ein Kilogramm Salat mit einem Liter Wasser produzieren. Das ist selbst im Gewächshaus nicht möglich. Dieser Vorteil kommt vielleicht in Deutschland noch nicht so richtig zum Tragen, aber möglicherweise in Regionen, in denen die Wasserverfügbarkeit eine ganz andere Rolle spielt.

Die Wassereinsparungen sind enorm, die Energiekosten aber auch.
Mempel: Das stimmt. Wenn sich Vertical Farming durchsetzen soll, brauchen wir definitiv Konzepte für alternative Stromversorgungen. Die Farmen müssen mit nachwachsenden Energieträgern versorgt werden, um zu einer ressourcenverträglichen Produktion zu kommen.

Kann denn Vertical Farming schon in naher Zukunft rentabel sein?
Mempel: Das kann ich mir schon vorstellen. Aber weniger für die klassischen Produkte, die man sich momentan immer anschaut. Bei Produkten wie Salat und Kräutern haben wir zumindest in Deutschland Rahmenbedingungen mit sehr niedrigen Preisen, die nötigen Flächen und auch relativ gute Produktionsbedingungen. Da gibt's derzeit keinen Grund, von der etablierten Produktion abzugehen. Anders ist das bei Produkten, die wir sonst aus Asien oder Südamerika importieren. Wenn man diese Produkte unabhängig von Saison und Klima vor Ort selbst produziert, kann sich das rechnen.

Und global gedacht?
Mempel: Wenn man an Phytopharmakonzerne denkt, die einen Rohstoff mit einer bestimmten Wirkstoffsubstanz brauchen, oder an Lebensmittelhersteller, die besondere Anforderungen an die Reinheit der Produkte haben, dann kann Vertical Farming schneller wirtschaftlich werden. Beim Indoor Farming kann man bestimmte Inhaltsstoffe in den Produkten erhöhen und die Produktion viel mehr standardisieren.

Wie viel Natur steckt dann noch in solchen Produkten?
Mempel: Die Pflanzen, die da drinstecken, bleiben letztendlich Natur.

Wäre es auch denkbar, Gentechnik einzusetzen, um Pflanzen zu züchten, die mit den Bedingungen bestens auskommen?
Mempel: Für mich wäre das kein Thema. Aber man kann es natürlich nicht ausschließen. Mein Eindruck ist allerdings, dass die Indoor-Farming-Szene der Gentechnik eher skeptisch gegenübersteht.

Wie wird sich das Vertical Farming weiterentwickeln?
Mempel: Ich glaube, in Zukunft wird der Anbau komplett substratlos stattfinden. Das heißt, die Wurzeln hängen frei in der Luft. So entstehen keine Reststoffe, und man kann sehr zielgenau Nährstoffe zuführen. Das wird sicherlich nicht mit allen Kulturen funktionieren. Aber das ist auch gar nicht mein Ziel. Man braucht das Nebeneinander von den verschiedenen Kulturverfahren.

Wenn schnell wachsendes Gemüse wie Salat in Zukunft hauptsächlich indoor und langsamer reifende Pflanzen wie Getreide im Freiland angebaut werden, wird es dann noch mehr Monokulturen in Deutschland geben?
Mempel: Das glaube ich überhaupt nicht. Monokulturen fördern wir eher mit unserem aktuellen System. Ich glaube, dass Indoor Farming eher wieder zu einer Diversifizierung beitragen würde, weil man an verschiedensten Stellen verschiedene Lebensmittel produzieren kann - unabhängig von Fläche und Ort. Es kann sein, dass es irgendwann in der Stadt Sinn ergibt, den Salat in einer Indoor Farm zu produzieren, aber wahrscheinlich nie im ländlichen Raum.

Vertical Farming ist sehr kostenintensiv. Ist es denn da für kleinere landwirtschaftliche Betriebe überhaupt eine Option?
Mempel: Bisher finanzieren die Firmen ihre Projekte meistens über Venture-Capital. Wenn ich eine Vertical Farm im großen Stil aufbauen will, brauche ich natürlich viel Geld. Aber als Ergänzung kann Vertical Farming auch für einzelne Bauern interessant sein. Immer mehr Landwirte steigen ja heute in die Stromproduktion ein - da liegt das vielleicht gar nicht so weit weg. Mein Wunsch wäre, dass man nicht versucht, die klassische Landwirtschaft oder den klassischen Gartenbau gegen das Indoor Farming zu stellen, sondern das Indoor Farming als Ergänzung sieht - da, wo es sinnvoll ist.

Das Interview führte Désirée Thorn

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