Der Bioland e.V. trauert um seinen Pionier Siegfried Kuhlendahl (Foto: Bioland/Sonja Herpich)

In Gedenken an einen Pionier

Wir nehmen Abschied von Siegfried Kuhlendahl

04.05.2021

Humorvoller und warmherziger Menschenfreund, überzeugter Christ, mutiger und konsequenter Vordenker, wacher Geist, Bioland-Pionier: Siegfried Kuhlendahl aus dem Windrather Tal in Nordrhein-Westfalen ist am 3. Mai gestorben, einen Tag nach seinem 92. Geburtstag.

Von Niklas Wawrzyniak
Siegfried Kuhlendahl auf seinem Hof Judt im Windrather Tal, Nordrhein-Westfalen im November 2020 (Foto: Niklas Wawrzyniak/Bioland)

 

„Ist das wirklich richtig, was du da machst?“ Diese Frage stellte sich Kuhlendahl immer wieder und in allen Bereichen seines Lebens. Die Frage war eine seiner wichtigsten Haltgeberinnen. Wissbegierde führte Kuhlendahl bereits in den 1960er-Jahren auf den Möschberg zu Dr. Müller in die Schweiz, seine kritische Wachheit ließ ihn selbst dessen Erkenntnisse prüfen. „Die haben wir nicht eins zu eins übernommen, sondern wir haben darüber nachgedacht und haben Literatur gewälzt.“

Siegfried und Maria Kuhlendahl krempelten ihren konventionellen Vorzeigebetrieb mit einem der ersten Boxenlaufställe für 40 Kühe, höchstem Kraftfutter- und Stickstoffeinsatz von heute auf morgen auf biologischen Landbau um: „April, April, ich mach das nicht mehr!“ Unabhängigkeit von der Agrarchemie und von Banken und selbständiges Denken waren fortan Grundsätze des Landwirts. Dazu gehörte ebenso, die Förderung der Bodenfruchtbarkeit selbst in die Hand zu nehmen und der Paradigmenwechsel, nicht mehr direkt die Pflanze mit Kunstdünger zu ernähren, sondern den Boden mit Stallmist, Gülle und Kompost zu versorgen und das Bodenleben zu fördern.

 

Im Sturmwind von Unverständnis und Anfeindungen blieb der Pionier standhaft und gewann an vielen Kleinigkeiten wie dem Essen oder der Bodenbearbeitung die innere Sicherheit, das zu tun, was in Zukunft wissenschaftlich, gesellschaftlich und politisch Anerkennung finden würde. Viele Praktikanten und Praktikantinnen, Auszubildende und Kollegen konnte Kuhlendahl für den Biolandbau begeistern. Als Missionar auftreten wollte er dabei nicht.

"Wir dürfen als Bauern keine Minderwertigkeitskomplexe haben, sondern müssen uns als erster Diener in der Schöpfungsordnung verstehen" - Siegfried Kuhlendahl


Siegfried und Maria Kuhlendahl wurden im Juli 1975 Mitglied beim damaligen „bio Gemüse organisch-biologischer Landbau e. V.“ Ende 1982 waren sie, neben sieben weiteren Betrieben, Gründungsmitglied des Bioland-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen. 2004 übergaben sie ihren Betrieb Hof Judt im Windrather Tal außerfamiliär an Familie Wemmers. Kurz darauf wurde Siegfried Kuhlendahl zum Ehrenmitglied des Landesverbandes ernannt.
Zur Gewissheit gehören Zweifel. So zweifelte der Bioland-Landwirt der ersten Stunde in seinen letzten Tagen durchaus an der Entwicklung des Biolandbaus. „Ich freue mich natürlich über die Entwicklung, die immer mehr Menschen zur Kenntnis nehmen“, sagte er in einem Interview im vergangenen November. Aber er sehe auch, dass mit der Vervielfachung des Biolandbaus auch die Gefahren wachsen, dass der ökologische Landbau konventionell verwässert und nicht mehr ein Herzensanliegen ist, sondern Zeitgeist. „Die geistige Beziehung zum Biolandbau kommt dabei zu kurz.“

Geistige Klarheit – „ich verschlinge Literatur, weil mich etwas interessiert“ – und seelische Offenheit – „ausschlaggebend ist das, was man Liebe nennt“ – blieben ihm bis zuletzt. Noch bis kurz vor seinem Tod formulierte Siegfried Kuhlendahl Anregungen für die Zukunft. Ein Anliegen war es ihm, die geistige Beziehung zum Biolandbau zu stärken, das sei Aufgabe der Bildung. Und Bildung hieß für Kuhlendahl, den Geist des Möschbergs in die Köpfe zu bringen – in moderner Form.
Seine Frau Maria starb 2015, bis zuletzt spürte er eine tiefe Verbundenheit mit ihr. Kinder hatte das Ehepaar nicht.